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Der Verwaltungsrat ist der falsche Ort, um das Marketing zu steuern

Die Engadin St. Moritz Tourismus AG braucht einen unabhängigen Verwaltungsrat und zwei Tourismuskommissionen für die Marken Engadin und St. Moritz. Dort können die Leistungsträger und die Gemeinden ihren Einfluss auf das Tourismusmarketing geltend machen. Ein Beitrag zur Diskussion.

Bild: Stmoritz.ch

Die neue Besetzung des Verwaltungsrates ist die Chance, die Gesellschaft nun noch besser aufzustellen, denn sie ist so etwas wie ein «organisatorischer Sanierungsfall». Die Besetzung muss nach klaren Kriterien und transparent erfolgen, damit die Bevölkerung und die Leistungsträger Vertrauen in die neue Führung aufbauen können. 

Rückblende: 2016 wurde bei der Vorstellung der «neuen ESTM» unterstrichen, dass sie sich in einem dynamischen wirtschaftlichen Umfeld bewege. Sie solle deshalb als Aktiengesellschaft und nicht etwa als Gemeindeverband organisiert werden. Diese Argumentation war und ist richtig.

Bereits die Besetzung des Verwaltungsrates machte die guten Vorsätze dann aber zunichte: Der VR wurde besetzt wie der Vorstand eines Gemeindeverbandes. Vorschlagsrechte von Leistungsträgern, lokale Verteilung über die gesamte Talschaft und sonstige Interessensvertretungen brachten einen VR hervor, der sich von vielen Seiten förmlich dazu aufgefordert sah, sich in das operative Geschäft einzumischen. Dies ist aber nicht seine Aufgabe. 

Die Wahrnehmung von Partikularinteressen ist legitim

Hotellerie, Wohnungsvermieter, Bergbahnen, Veranstalter, Gastronomen, (etc.) und die Tourismusabteilungen der Talgemeinden sind die Kunden der ESTM. Dass sie ihre Interessen wahrnehmen und die Tätigkeit der ESTM auf ihre Bedürfnisse abstimmen wollen, ist legitim. Der Verwaltungsrat ist aber die falsche Stufe dafür. 

Die Interessenswahrung muss auf operativer Ebene angesiedelt werden. Dort entsteht das eigentliche Tourismusmarketing und dort müssen die Bedürfnisse der Leistungsträger und der Orte bekannt sein. Dies funktioniert bereits für die Marke St. Moritz: Hier ist die Tourismuskommission der Gemeinde ein eigentlicher Sparringpartner der Markenverantwortlichen. Dem Vernehmen nach ist die Zusammenarbeit gut und erfolgreich. Ein Pendant dazu sollte auch für die Marke Engadin geschaffen werden: In einer «Tourismuskommission Engadin» können die Interessensvertreter der Engadiner Leistungsträger und Gemeinden ihre Interessen einbringen. Die TK Engadin darf etwas grösser sein als ein VR und kann so auch die Vielfalt des Engadins und seines Angebots besser abbilden. 

Unabhängige Verwaltungsräte

Die Idee, dass die Leistungsträger (und damit die Kunden) im Verwaltungsrat der ESTM nach dem Rechten sehen, ist nicht mehr zeitgemäss. Als VR werden sie immer versucht sein, die Partikularinteressen ihrer Gruppe zu vertreten und sich deshalb in das Tagesgeschäft einzumischen. Das widerspricht aber der Corporate Governance.

Der neue VR der ESTM sollte aus Persönlichkeiten bestehen, welche die ESTM mit ihrer Ausbildung, Erfahrung, Know-how und Netzwerk weiterbringen. Sie sollten von den Kunden (Leistungsträgern und einzelnen Gemeinden) aber unabhängig sein und sich nur der Sache (dem Erfolg der gesamten ESTM) verpflichtet fühlen.

Um den Verwaltungsrat neu zu besetzen, müssen klare Anforderungsprofile für die einzelnen Mitglieder und ein Gesamtprofil des Gremiums erstellt werden. Dies ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Der Ausschuss der Präsidentenkonferenz sollte sich dazu von einer externen Fachperson begleiten lassen. Diese muss von der Region, dem Tourismus und seinen Akteuren unabhängig sein.

Erst wenn die Profile des Verwaltungsrates und seiner Mitglieder klar sind, kann der neue VR gewählt werden. Die Profile sollten veröffentlicht und den Teilen der Talschaft und den Leistungsträgern ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden. Es muss aber klar sein, dass die Gemeindepräsidenten nur Kandidatinnen oder Kandidaten wählen werden, welche den Anforderungsprofilen auch tatsächlich entsprechen. Ein so zusammengesetzter Verwaltungsrat kann sich dann auf seine strategischen Aufgaben und Pflichten fokussieren und die Corporate Governance respektieren. 

Nichts überstürzen

Die Absicht, den VR der ESTM so rasch wie möglich wieder neu zu besetzen, ist an sich positiv, denn die Gesellschaft braucht eine funktionierende Führung. Dennoch sollte man nun nichts überstürzen und für eine Übergangsphase einen Übergangs-Verwaltungsrat einsetzen. Er kann die Unternehmung ab April 2020 für einige Monate leiten und dem aktiven Team der ESTM die nötige Orientierung und Unterstützung geben. Der Übergangs-VR könnte zum Beispiel aus der externen Fachperson und zwei Gemeindepräsidenten bestehen. In der Übergangsphase können die Leistungsträger und Gemeinden in einem geführten Prozess auch die «Tourismuskommission Marke Engadin» entwickeln und sich auf deren Besetzung vorbereiten. 

Operatives Geschäft weiterführen

Die ESTM ist zwar ein organisatorischer Sanierungsfall, neben all den Schlagzeilen darf aber nicht vergessen werden, dass das Team der ESTM sehr gute Arbeit leistet. Es braucht unsere Unterstützung und die nötigen finanziellen Mittel. Die Neubesetzung des VR (und die dazu nötigen Änderungen in den Bestimmungen der Gesellschaft) sind für viele ein Ärgernis, aber gleichzeitig auch eine Chance für das Engadin.

Ein Verwaltungsrat aus unabhängigen Persönlichkeiten macht die ESTM wieder steuerbar. Zwei Tourismuskommissionen - für die Marken Engadin und St. Moritz - stellen die Mitwirkung der Leistungsträger und Gemeinden beim Tourismusmarketing sicher. So können die aktuellen Probleme der ESTM einfach und transparent gelöst und der Bevölkerung und den Leistungsträgern das Vertrauen in die Tourismusorganisation wieder zurückzugeben werden. Und so wird sich für die Neubesetzung und den Neustart des VR auch die nötige, politische Mehrheit in allen Gemeinden finden. 

Die Diskussion kann weitergehen!