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«Die wahrscheinlich schönste Baustelle der Schweiz.»

Die Bauarbeiten für die Sanierung des Entwässerungssystems im Gebiet der Maiensässe um Propissi haben begonnen. Bis im Spätherbst werden mehr als zweieinhalb Kilometer neue Entwässerungsrinnen gebaut. Auf der Baustelle haben wir den Bauleiter Ivo Thaler getroffen.

Bauleiter Ivo Thaler ist eidg. dipl. Tiefbauzeichner, Maurer, Polier, Bauführer sowie Natur-und Umweltfachmann

Interview: Christian Gartmann

Die Vorbereitungsarbeiten haben begonnen. Hat es schon Überraschungen gegeben?

Ja, und zwar positive: Zum einen hilft das schöne Wetter unsere Arbeiten und zum anderen haben wir festgestellt, dass die Annahmen für unsere Planung grösstenteils richtig waren. 

Wie meinen Sie, «dass die Annahmen richtig waren»?

Es war der Gemeinde und dem Kanton ein Anliegen, dass wir die Planung und Ausschreibung der Arbeiten rasch durchführen, damit wir schon in diesem Sommer mit den Bauarbeiten beginnen können. Die Planung geschah deshalb im Winter und wir konnten nicht jeden Meter im Gelände abgehen. Dank der guten Unterstützung von ortsansässigen Personen mit deren lokalen Kenntnissen und Erfahrung konnten wir dennoch verlässlich planen. Vor Ort sehen wir nun, dass wir richtig lagen.


«Die Umgebung möglichst wenig beeinträchtigen»

Sie arbeiten in einer sehr speziellen, sehr schönen Landschaft, die teilweise geschützt ist. Wie hat das die Planung beeinflusst?

Wir haben eine Umwelt-Baubegleitung (UBB), mit der wir die Arbeiten vorher absprechen. So stellen wir sicher, dass wir die Umgebung möglichst wenig beeinträchtigen und wo immer möglich sogar verbessern.

Wie kann man denn die Natur verbessern?

Es ist nicht die Natur, die wir verbessern, sondern die Effekte, die frühere Bauarbeiten hatten. Vor mehr als 100 Jahren wurden beim Bau des ursprünglichen Systems Rinnen teilweise durch wertvolle Trockenwiesen geführt. Mit der Zeit wuchsen um die Entwässerungs-Kanäle Sträucher und Bäume. Der Bewuchs war teilweise so dicht und der Schattenwurf der Bäume so stark, dass die Trockenwiese verkümmerte oder abstarb. Teilweise ent-stand eigentlicher Waldboden. Nun haben wir die Rinnen von diesem Bewuchs befreit und bauen schonend das neue Entwässerungssystem. Vermutlich wird die Trockenwiese dann schon bald wieder bis zu den Rinnen vordringen. So können wir durch die Bauarbeiten etwas verbessern.

Sie ersetzen mehrere Kilometer Entwässerungskanäle. Werden die alle neu gebaut?

Ja, das neue Entwässerungssystem wird fast ausschliesslich mit einem Wellstahlblech-System gebaut. Die Lage dieses Systems in der Landschaft ist aber fast identisch mit dem vom 1906, welches 1976 saniert wurde. So wird kein zusätzliches Land beansprucht. Das schont die Umgebung und somit die Natur.

Und was ist mit den vielen kaputten Rohren, die in den Siebzigerjahren verlegt wurden?

Die meisten bleiben im Boden. Einige haben noch ihre Funktion als Ableitung und die restlichen Leitungen auszugraben, wäre sehr aufwändig und wir müssten dafür die Landschaft unnötig aufreissen. 

Die Landschaft hoch über dem Tal ist einzigartig. Nehmen Sie das auch wahr oder sehen sie vor allem die Schwierigkeiten beim Bauen im unwegsamen Gelände?

Und ob ich die Schönheit sehe! Ich war noch nie auf einer Baustelle, wo es so viele Wildtiere gab. Jeden Tag sehe ich Hasen und verschiedenste Vogelarten. Propissi ist die wahrscheinlich schönste Baustelle der Schweiz!

Der Weg hinauf nach Propissi ist steil, eng und staubig. In den nächsten Wochen werden grosse Lastwagen die Halbschalen anliefern, aus denen Sie dann die Entwässerungsrinnen bauen. Wie wird der Verkehr geregelt?

Die grossen Lastwagen fahren bis Pigni, wo wir das Material ein erstes Mal abladen. Von dort wird es dann mit einem viel kleineren «Unimog»-Geländelastwagen bis ins Gebiet Propissi gebracht. Dort kommt zur Feinverteilung dann der Helikopter zum Einsatz, damit die empfindlichen Wiesen und Böden nicht unnötig durch Fahrten beschädigt werden. Die ganze Logistik ist eine Herausforderung. Auf der engen Strasse gibt es nur wenige Kreuzungsstellen. Während den Bauarbeiten kann es sein, dass man bis zu 20 Minuten warten muss, bis die Strasse wieder frei wird.

Die Gemeinde hat die Bevölkerung aufgefordert, von unnötigen Fahrten zur Baustelle abzusehen. Dabei müsste Baustellentourismus Sie doch eigentlich freuen!

(lacht) Natürlich ist es schön, wenn sich die Leute interessieren! Aber die Zufahrtsstrasse ist wirklich eng und anspruchsvoll. Wenn sich da zwei Fahrzeuge begegnen, muss eines bis zur nächsten Kreuzungsstelle zurückfahren und dabei rückwärts auch enge Kurven und steile Passagen meistern. 

Jedes unnötige Fahrzeug kann so zu Verzögerungen für den gesamten Baustellenbetrieb und für die Anwohner führen. Zudem möchten wir unbedingt vermeiden, dass es in diesem steilen Gelände zu Unfällen kommt. Deshalb wird das Fahrverbot auf der Strasse auch kontrolliert. 

Was sagen die Einheimischen dazu, die hier oben ihre Maiensässe haben?

Sie sind uns gegenüber sehr offen und zeigen meistens grosses Verständnis. Gerade die Bauern, die hier oben ihre Wiesen und Weiden haben wissen, dass die Zufahrt nicht einfach ist. Sie kennen ihr Land seit Generationen und haben uns schon für die Planung gute Hinweise gegeben. Die Zusammenarbeit ist sehr gut - das freut mich sehr!

Die Maiensässe beziehen ihr Trinkwasser meistens aus kleinen Quellen. Wird das Entwässerungssystem diese nicht schädigen?

Wenn man eine Landschaft entwässert, kann das bestehende Quellen natürlich beeinflussen. Zur Wasserversorgung der Maiensässe ist aber zu sagen, dass zumindest ein Teil dieser Quellen vom Menschen gemacht sind: Aus den defekten Rohren des alten Entwässerungs-Systems entweicht stellenweise sehr viel Wasser. So können Quellen entstehen, die keinen natürlichen Ursprung haben. Leider können sie auch bakteriell verschmutzt sein.

Wie sichern Sie nun die Wasserversorgung der Maiensässe?

In Zusammenarbeit mit der Gemeinde und den Besitzern haben wir die Versorgung der Maiensässe vorabgeklärt. Wir werden nun Vorschläge machen, wie wir mit einfachen Mitteln sauberes Wasser zu den Brunnen vor den Häusern führen können. Dazu planen wir kleinere Wassertanks und wo nötig neue Leitungen zu den verschiedenen Brunnen.

Die Arbeiten haben etwas später als geplant begonnen. Werden Sie trotzdem rechtzeitig fertig?

Die erneuerte Anlage soll im Spätherbst zu 90 Prozent in Betrieb genommen werden. Das werden wir schaffen, wenn das Wetter mitmacht und die Corona-Pandemie nicht zu Lieferverzögerungen oder Baustopps führt. Im kommenden Jahr stehen dann vermutlich noch einige Fertigungs-, Ergänzungs- und Abschlussarbeiten an. 

 

Zur Person: 

Ivo Thaler (47) ist der örtliche Bau- und Fachbauleiter für die Sanierung des Entwässerungssystems im Gebiet der Maiensässe um Propissi. Der eidg. dipl. Tiefbauzeichner, Maurer, Polier, Bauführer so-wie Natur-und Umweltfachmann arbeitet für das Ingenieurbüro Eichenberger Revital SA, welches auf Wasserbau und Gewässerrevitalisierung spezialisiert ist. An seiner Arbeit fasziniert ihn, dass er die Natur mit dem Bauen kombinieren kann. Der Vater von zwei Töchtern ist auch in seiner Freizeit gern in der Natur. Als Skitourenfahrer und Mountainbiker erkundet er immer wieder neue Teile von Graubünden. 


Das Interview wurde Ende Juli 2020 für das monatliche Informationsbulletin der Gemeinde Albula/Alvra geführt, in welchem die Gemeinde die Bevölkerung über den Brienzer Rutsch informiert. Download: hier

Christian Gartmann ist der Kommunikations- und Medienbeauftragte der Gemeinde Albula/Alvra für den Brienzer Rutsch.