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«Einheimische sind im Stab besonders wichtig.»

In einem monatlichen Informationsbulletin informiert die Bündner Gemeinde Albula/Alvra die betroffene Bevölkerung über den aktuellen Stand der Erkenntnisse und Arbeiten zum «Brienzer Rutsch» der die Fraktion Brienz/Brinzauls bedroht. Um die Tätigkeit der Führungsorganisation zu erklären, wir in jeder Ausgabe Thema mit einem Hintergrund-Interview vertieft. im Interview spricht Bruno Casutt, Interim Stabschef des Gemeindeführungsstabes der Gemeinde Albula/Alvra, über die Aufgaben eines Gemeindeführungsstabs.

Was macht ein Gemeindeführungsstab?

Er unterstützt den Gemeindepräsidenten und den Gemeindevorstand bei der Vorsorge und der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen. 

Wer sitzt in diesem Führungsstab?

Stark vereinfacht gesagt, bringt die Gemeinde alle Fachleute an den Tisch, die sie zur Bewältigung einer Lage braucht. Hier sind das Mitglieder des Vorstandes, Mitarbeitende der Gemeindeverwaltung, Kantonspolizei, Feuerwehr, technische Dienste der Gemeinde, Zivilschutzkompanie und der lokale Naturgefahrenberater. Da-zu kommen je nach Situation kantonale oder private Spezialisten für Naturgefahren, öffentlichen Verkehr, Stromversorgung oder die Kommunikation. Chef des Gemeindeführungsstabes ist der Gemeindepräsident.

Das ist eine Mischung aus Milizkräften und Profis aus dem Kanton. Warum nicht nur Profis?

Einheimische sind im Stab besonders wichtig. Sie kennen die örtlichen Gegebenheiten, die Bevölkerung und die einsetzbaren Organisationen. Dazu kommen dann externe Experten mit Fachwissen und Erfahrung, welche es vor Ort nicht gibt. Die Mischung macht’s.

Wie oft treffen Sie sich?

Im Moment alle zwei Wochen für einen halben Tag. Je nach dem, wie viel Arbeit ansteht oder wie sich die Situation entwickelt, gibt es mehr oder weniger Rapporte.

Wie muss man sich einen solchen Rapport vorstellen?

Rapporte sind systematisch geführte Arbeitssitzungen, in welchen die aktuelle Lage, Probleme und deren Lösungen besprochen werden. Die Mitglieder des Stabes bekommen Aufträge, um zum Beispiel ein Problem zu lösen. Im nächsten Rapport präsentieren sie ihre Lösungsvorschläge, die dann diskutiert werden.  Damit nichts vergessen geht, werden Rapporte immer nach einer bestimmten Reihenfolge durchgeführt und genau protokolliert. So bleiben alle im Stab auf dem gleichen Wissensstand und alle können sich einbringen.

Was hat der GFS bis jetzt konkret für Brienz/Brinzauls getan?

Der Gemeindeführungsstab hat Pläne für eine sofortige oder rasche Evakuierung (innert 15 Stunden) von Brienz/Brinzauls und Teile von Vazerol, Surava und Tiefencastel entwickelt. Aktuell arbeiten wir an der Planung für eine Räumung der Häuser, falls diese einmal nötig würde. Wichtig ist auch die Ausbildung des Stabes, denn Stabsarbeit verläuft nach speziellen Regeln.

 

«Die vorhandenen Mittel am richtigen Ort einsetzen»

 

Die Gemeinde hat also die Führung in dieser grossen und besonderen Lage bei sich be-halten. Kann eine Gemeinde eine solche Lage überhaupt bewältigen?

Jede Gemeinde kann Unterstützung des Kantons beantragen. Im Grundsatz ist die Gemein-de aber für die Bewältigung einer besonderen Lage zuständig. In einer ausserordentlichen Lage  bzw. wenn mehrere Gemeinden oder gar der ganze Kanton betroffen ist, kommt dem Kantonalen Führungsstab die Rolle der Koordi-nation und Unterstützung der Gemeindeführungsstäbe zu.

Wie unterstützen die kantonalen Stellen die Gemeinde konkret? Können Sie Beispiele nennen?

Sie helfen überall dort, wo die Gemeinde das nötige Fachwissen nicht in den eigenen Reihen hat. Beim Brienzer Rutsch sind kantonale Stellen aus allen fünf Departementen aktiv. Das geht von der Planung der Evakuierung durch das Amt für Militär und Zivilschutz über die Unterbringung von evakuierten Nutztieren durch das Amt für Landwirtschaft und Geoinformation im Plantahof bis zu langfristigen Siedlungsplänen durch das Amt für Raumentwicklung oder die Abklärung einer Sanierung des gesamten Rutsches durch das Amt für Wald und Naturgefahren.

Ist der Gemeindeführungsstab ein reines Beratergremium oder entscheidet er anstelle des Gemeindevorstandes?

Der Gemeindeführungsstab entwickelt primär Lösungsvarianten für Probleme. Sofern kein grösserer Zeitdruck besteht, beschliesst der Gemeindevorstand das Vorgehen. Wird eine Lage akut und der Zeitdruck gross, muss der Gemeindepräsident als Chef des Stabs zusammen mit einer Vertreterin der Exekutive ent-scheiden. 

«Die Erfahrungen von Bondo helfen uns heute bei der Arbeit.»

Was würden Sie bei einem Bergsturz oder einer Evakuierung wegen des rutschenden Dorfes für die Betroffenen tun?

An erster Stelle steht die Rettung von Mensch und Tier, nachher gilt es, die Umwelt und die Sachwerte zu schützen und instand zu stellen. Der Gemeindeführungsstab behält den Gesamtüberblick und setzt die Prioritäten, so dass die vorhandenen Mittel konzentriert zur richtigen Zeit am richtigen Ort eingesetzt werden. Die Betroffenen stehen immer im Zentrum von allen, was wir tun. 

Sie selbst und einige der Mitglieder des Stabes standen schon 2017 nach dem Bergsturz bei Bondo im Einsatz. Können Sie Erfahrungen aus dem Bergell auch hier anwenden?

Die Führungstätigkeiten und der Ablauf der Stabsarbeit sind zwar immer dieselben, aber die praktische Erfahrung aus den Murgängen bei Bondo ist für alle Beteiligten wichtig. Sie fliesst zum Beispiel in die verschiedenen Vorsorgeplanungen ein. Sie gibt uns auch das Vertrauen, dass in einem akuten Ereignis so manches möglich wird, das man sich im Alltag nie vorstellen könnte.

Lässt sich die Lage mit Bondo überhaupt vergleichen?

In Bondo wurde der Gemeindeführungsstab hauptsächlich für die Bewältigung des Bergsturzes und der Murgänge eingesetzt. Zum Brienzer Rutsch planen wir Vorsorgemassnahmen. Dennoch sind viele Themen verwandt: Bondo war zum Beispiel während sieben Wochen evakuiert. Die Erfahrung daraus hilft uns bei der Planung heute. Zudem kennen sich bereits viele Beteiligte aus der praktischen Zusammenarbeit und sprechen eine gemeinsame Sprache.

«Ich wünsche mir, dass wir all die Planungen nie umsetzen müssen.»

 

Wie erleben Sie die Bewohner der betroffenen Dörfer?

Mein Eindruck ist, dass sich die Bevölkerung der betroffenen Fraktionen sehr ruhig und be-sonnen verhält. Das ist für die Arbeiten in den verschiedenen Gremien sehr wichtig. Unsere Vorsorgeplanungen werden nur funktionieren, wenn die betroffene Bevölkerung mit der Gemeinde am gleichen Strick zieht, uns ihre Bedürfnisse mitteilt, damit wir gezielt darauf eingehen können. Im Zentrum aller unserer Tätigkeiten stehen die betroffene Bevölkerung und ihr Wohlergehen.

Was wünschen Sie sich für ihre Arbeit in diesem Jahr?

Dass die Menschen in den Fraktionen Brienz/Brinzauls, Vazerol, Surava und Tiefencastel normal weiterleben können und wir alle unsere Vorsorgeplanungen nie umsetzen müssen – das wäre für mich das Schönste.

 

Christian Gartmann ist Beauftragter für Kommunikation und Medien der Gemeinde Albula/Alvra für den Brienzer Rutsch. Er erstellt unter anderem die monatlichen Info-Bulletins für die betroffene Bevölkerung.