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«Man darf die Strecke mit gutem Gewissen als sicher bezeichnen.»

Die Albulalinie der Rhätischen Bahn führt auf knapp zwei Kilometern quer durch das Gebiet des Brienzer Rutsches. Dieser schiebt auch das Bahngleis talwärts und kann es beschädigen. Der Aufwand für den Unterhalt und zusätzliche Massnahmen ist beträchtlich, wie Christian Florin von der Rhätischen Bahn im Interview erklärt.

Christian Florin, Leiter Infrastruktur und Stv. Direktor RhB (c) swiss-image.ch/Andy Mettler

Ende März ist in der Nähe von Tiefencastel ein Zug entgleist. Weshalb?

Im Gleis ist eine Verschiebung entstanden – eine Art «Knick». Dadurch sind zwei Wagen eines Personenzuges teilweise entgleist und der Lokführer hat den Zug sofort gestoppt.


Was hatte diese Entgleisung mit dem Brienzer Rutsch zu tun?

Das Gelände mit dem Gleis rutscht stetig talwärts. Dabei können sich die Schienen senken, heben oder seitlich verschieben. Dies führt zu Zug- und Druckspannungen in den Schienen, die sich wie im vorliegenden Fall in Form von sogenannten Verdrückungen oder Verwerfungen wieder lösen können. Ob der Brienzer Rutsch der Auslöser für diesen Vorfall war, lässt sich nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen. Es ist aber durchaus möglich.


Wie gross war der Schaden?

Der Schaden am Gleis war gering, wir konnten alles wieder richten. An den beiden teilweise entgleisten Wagen sind leichte Beschädigungen an den betroffenen Drehgestellen entstanden.

 

«Auf dem Abschnitt durch den Brienzer Rutsch sind die Streckenwärter besonders sensibilisiert.»


Wie haben die Passagiere reagiert?

Sie sind sehr ruhig geblieben. Eine Schnellbremsung bei Tempo 30 ist ja glücklicherweise auch nicht so dramatisch. Es ist vor allem ein Rütteln zu spüren. Verletzt wurde niemand und die Fahrgäste konnten nach etwas Wartezeit mit dem Bus weiterfahren.


Hat Sie persönlich diese Entgleisung überrascht?

Ja und nein: Wir hatten an diesem Ort schon in der Vorwoche leichte Verschiebungen festgestellt, deshalb wurde die Geschwindigkeit der Züge vorsorglich auf 30 Stundenkilometer reduziert und eine Reparatur geplant. Das Abknicken trat dann aber schneller auf, als wir es erwartet hatten.


Wie oft kontrollieren Sie diese Strecke?

Unser ganzes Streckennetz, und damit auch alle Abschnitte der Albulalinie, wird jede Woche zu Fuss begangen. Auf dem Abschnitt durch den Brienzer Rutsch sind die Mitarbeiter des Bahndienstes und die Streckenwärter aber besonders sensibilisiert. Zudem haben wir Einrichtungen erstellt, damit sich die Gleise ausdehnen können. Sie werden vom Bahnmeister alle zwei Wochen vermessen. Wenn sich in den Schienen dennoch Spannungen aufbauen, durchtrennen wir sie. Wir korrigieren die Gleislage mehrmals pro Jahr. Zudem melden uns die Lokführer und die Gleisbauer, die auf der Strecke unterwegs sind, wenn es ungewöhnliche Veränderungen gibt.


Wie gehen Sie vor, wenn es zu Schäden kommt?

Wir haben einen erfahrenen Pikettdienst, der Schäden sofort kontrollieren und beurteilen kann. So können wir rasch die nötigen Massnahmen treffen. Bis ein Schaden behoben ist, wird beispielsweise die Geschwindigkeit reduziert oder die Strecke wird für die Reparatur ganz gesperrt. Das ist aufwändig, aber die Sicherheit geht immer vor.

 

Entgleisung bei Tempo 30

 

Die Züge fahren auf der Strecke zwischen Tiefencastel und Surava schon jetzt langsamer. Müssen Sie jetzt zusätzliche Massnahmen ergreifen?

Wir beobachten den Brienzer Rutsch genau und kontrollieren die Bahnstrecke sehr engmaschig. Zusätzliche Massnahmen sind deshalb nicht notwendig.


Ist die Fahrt auf dieser Strecke noch sicher?

Ja, man darf die Strecke mit gutem Gewissen als sicher bezeichnen. Der Abschnitt wird regelmässig beobachtet und beurteilt. So hatten wir auch im vorliegenden Fall die Geschwindigkeit bereits reduziert. Natürlich war die Entgleisung ärgerlich, denn sie brachte für die Reisenden Verzögerungen und hielt unsere Teams auf Trab. Aber alles in Allem ist das Ereignis glimpflich abgelaufen. 


Die Rutschung Dorf, über die die Albulalinie fährt, bewegt sich im Moment so schnell wie noch nie. Haben Sie die Zunahme an der Bahnlinie auch bemerkt?

Wir messen die Verschiebungen an der Bahnlinie seit 1995 und haben ebenfalls eine Zunahme festgestellt. Das Gleis verschiebt sich aktuell um etwa 70 Zentimeter pro Jahr. Das ist zwar weniger als die oberen Bereiche der Rutschung auf der Höhe von Brienz/Brinzauls, aber für ein Bahngleis ist das immer noch sehr viel.


Was kosten diese Reparaturen pro Jahr?

Auf den knapp zwei Kilometern durch den Brienzer Rutsch ist der Unterhalt etwa viermal so aufwändig wie auf anderen Abschnitten. Alles in allem kommt pro Jahr ein tiefer sechsstelliger Betrag an Zusatzkosten zusammen. 


Können Sie endlos reparieren, oder gibt es irgendwann einen Punkt, wo Sie die Strecke nicht mehr reparieren können und es eine Alternative braucht?

Für das Richten des Gleises muss Schotter unter das Gleis gebracht werden. Das geht aber nicht endlos. Wenn der «Schotterberg» zu hoch wird, beginnt das Gleis zu «schwimmen». Wir müssen dann einen neuen, festen Untergrund bauen. Auf diesen kommt dann wieder eine normal hohe Schotterschicht und das Gleis.


Zusätzlich zum Bahngleis führen auch eine Hochspannungsleitung und Datenleitungen der RhB über die Rutschung Dorf. Spüren diese Leitungen die Rutschung auch?

Auch auf den Kabelleitungen, der Oberleitung und den Entwässerungen entstehen durch die Verschiebungen Spannungen. Die Leitungen entlang des Gleises wurden deshalb im vergangenen Jahr komplett neu verlegt. 

 

«Problematischer wäre ein Bergsturz, welcher die Strecke über Monate oder sogar Jahre schliessen würde.»

 

Oberhalb der Rutschung Dorf gibt es noch die Rutschung Berg. Sie könnte einen Bergsturz auslösen, der unter Umständen bis zur Bahnstrecke gelangen könnte. Beunruhigt Sie das?

Die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Bergsturz ist sehr gering, und er ist auch nicht plötzlich zu erwarten. Wir rechnen mit einer Ankündigungszeit von mindestens einer Woche. Unsere Fahrgäste, unser Personal und unsere Züge wären also nicht direkt in Gefahr.  


Falls die Strecke wegen Schäden oder einem drohenden Bergsturz gesperrt werden müsste, wie kommen Ihre Passagiere dann ins Albulatal und ins Engadin?

Fahrgäste, die ins Engadin reisen, würden via Landquart – Prättigau und den Vereinatunnel geführt. Das untere Albulatal bis Tiefencastel würde über Thusis versorgt und nach Filisur würden die Züge aus dem Engadin oder Davos verkehren.

 
Alle hoffen nun darauf, dass der Brienzer Rutsch mit einem Entwässerungsstollen langsamer gemacht oder gestoppt werden kann. Was, wenn das nicht funktioniert? Haben Sie dann andere Pläne für die Strecke?

Die Rutschung ist für die RhB vor allem ein Unterhaltsthema, das sehr unangenehm ist und auch erhöhte Kosten zur Folge hat. Zudem muss die Strecke häufiger überwacht werden, wie dies auch der vorliegende Fall gezeigt hat.

Problematischer wäre ein Bergsturz, welcher die Strecke über Monate oder sogar Jahre schliessen würde. Dazu wäre eine Umfahrung respektive Unterquerung der Rutschmasse notwendig. Ob dies sinnvoll wäre, muss anhand einer Analyse von Kosten und Nutzen abgeschätzt werden. Der Nutzen für die RhB und die Region wäre, dass die Strecke nicht geschlossen werden müsste.


Wie weit sind Sie bei diesen Abklärungen schon?

Gemeinsam mit dem Tiefbauamt studieren wir Möglichkeiten, wie wir den Brienzer Rutsch langfristig umfahren könnten. Für einen Bahn- und einen Strassentunnel mit gemeinsamem Sicherheitsstollen wurden bereits verschiedene Varianten ausgearbeitet. Diese werden zurzeit einem Vergleich unterzogen und wir eruieren auch die Kosten.


Die Albulalinie ist Teil des UNESCO Welterbes Rhätische Bahn. Schränkt Sie das bei den Massnahmen zum Brienzer Rutsch ein?

Die periodischen Arbeiten, die heute durchgeführt werden, sind zwingend notwendig, um den Bahnbetrieb überhaupt aufrecht erhalten zu können. Die Verantwortlichen der UNESCO schränken solche Arbeiten nicht ein. 

Eine allfällige Neutrassierung, zum Beispiel mit einem Tunnel, müsste auf jeden Fall noch abgesprochen werden. Seitens UNESCO würden wohl Anforderungen an die Gestaltung der Portale oder der Stützmauern gemacht. Wenn die Neutrassierung aber aus Gründen der Sicherheit oder der Risikominderung notwendig sein sollte, gehen wir nicht davon aus, dass die UNESCO gegen Massnahmen wäre. Schliesslich ginge es um die Aufrechterhaltung der geschützten Strecke.

 

Christian Florin

Der Bau- und Wirtschaftsingenieur ist Leiter Infrastruktur und stellvertretender Direktor der Rhätischen Bahn. Der Brienzer Rutsch beschäftigt ihn beruflich und als Mitglied des kantonalen Führungsstabes (KFS) seit drei Jahren. Mit der Region Mittelbünden verbindet ihn seine Tätigkeit als Gesamtprojektleiter des neuen Albulatunnels und seine frühere Aufgabe als Vorstandsmitglied von Bergün Filisur Tourismus. 

Christian Florin (55) ist in Klosters-Serneus und Landquart aufgewachsen und wohnt heute in Bad Ragaz. Er ist verheiratet und Vater zweier Söhne. 

 

Dieses Interview wurde im 17. Bulletin zum Brienzer Rutsch der Gemeinde Albula/Alvra publiziert.

Christian Gartmann ist der Informationsbeauftragte der Gemeinde Albula/Alvra zum Brienzer Rutsch und Mitglied des Gemeindeführungsstabes.