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«Unsere Freiwilligen sind gut ausgebildet und vorbereitet.»

Falls das Bündner Bergdorf Brienz/Brinzauls aus Sicherheitsgründen evakuiert werden müssten, würden die freiwillige Feuerwehr Albula und die First Responder wichtige Aufgaben übernehmen. Feuerwehrkommandant Roland Farrér vertraut auf eine gut ausgebildete Truppe, wie er im Interview sagt.

Die Gemeinde und der Kanton haben ein Konzept für die Evakuierung der Fraktionen Brienz/Brinzauls und Vazerol und für Teile von Tiefencastel und Surava herausgegeben. Lange hat man nicht mehr darüber gesprochen. Ist das Konzept überhaupt noch aktuell?

Ja. Die Haushalte, die von einer möglichen Evakuierung betroffen wären, haben Broschüren erhalten, in denen die Evakuierung erklärt wird. Diese sind nach wie vor aktuell. Sollte jemand die Broschüre nicht oder nicht mehr haben, kann man sie von der Website der Gemeinde herunterladen oder bei der Gemeindeverwaltung abholen.

Hinter den Kulissen wird das Konzept laufend überprüft und es fliesst auch in unsere Übungen ein. So können wir uns auf eine Evakuierung vorbereiten, dennoch hoffen wir alle, dass wir diesen Ernstfall nie erleben müssen.


Welche Aufgaben hat die Feuerwehr bei einer Evakuierung?

Falls eine Evakuierung nötig wird, sperren wir das gesamte Gebiet ab und alarmieren die Bevölkerung. Dazu fahren wir mit Sirenen und Lautsprechern auf festgelegten Routen durch die betroffenen Siedlungsteile. Gleichzeitig richten wir Informationspunkte ein, wo wir den Leuten erklären, was sie tun müssen, falls sie Fragen haben oder Hilfe brauchen. Und schliesslich helfen wir mit, wenn jemand Hilfe oder einen Transport benötigt.


Wann würde es zu einer Evakuierung kommen?

Eine Evakuierung würde dann als Sicherheitsmassnahme angeordnet, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass ein Bergrutsch oder Bergsturz Siedlungsgebiete erreichen könnte. Der Entscheid über eine Evakuierung liegt beim Gemeindeführungsstab. Dieser lässt sich von den Naturgefahrenexperten im Frühwarndienst der Gemeinde beraten. 


Wie gefährlich wäre ein solcher Einsatz?

Die Geologen haben uns erklärt, dass ein grosser Bergsturz nicht plötzlich passiert, sondern sich vorher ankündigt. So können wir eine Evakuierung frühzeitig durchführen und die Dörfer räumen, bevor Felsmassen abrutschen oder abstürzen. Ein Einsatz für eine Evakuierung wäre deshalb für uns und die Bevölkerung nicht gefährlicher als unsere anderen Einsätze.


Ist ein solcher Fall denn wahrscheinlich?

Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem grossen Bergsturz oder Bergrutsch kommt, ist sehr gering, auch wenn die Geschwindigkeiten der Rutschung Berg im Frühling noch einmal stark angestiegen sind. Dennoch haben wir uns darauf vorbereitet, um für die Menschen da zu sein, sollte es doch einmal nötig werden. Am besten wäre es natürlich, wenn wir das alles gar nie in der Praxis brauchen.


Kann die Feuerwehr einer kleinen Gemeinde so etwas überhaupt bewältigen?

Nachbarschaftshilfe gehört zu den Feuerwehren, seit es sie gibt. In der ersten Phase eines Einsatzes müssten wir zwar mit unseren Leuten auskommen. Je nach Entwicklung würden wir dann auf die Feuerwehren der Nachbargemeinden zurückgreifen. Diese sind schon sehr gut informiert und könnten uns bei der Evakuierung unterstützen oder auch bereitstehen, falls daneben noch ein anderer Einsatz nötig wird – etwa bei einem Verkehrsunfall oder einem Brand. 


Wie haben Sie die Planung für eine Evakuierung entwickelt?

Als erstes hat der Gemeindeführungsstab alle Schritte theoretisch durchgespielt und einen detaillierten Plan erstellt. Mit dabei waren Fachleute des Amts für Militär und Zivilschutz, aber auch Einheimische aus der Feuerwehr, der Polizei und der Gemeinde. So konnten wir schon sehr viele Details konkret besprechen und in die Planung einfliessen lassen.


Wie würde eine solche Evakuierung aus der Sicht der Feuerwehr ablaufen?

Die Bewohnerinnen und Bewohner haben Informations-Broschüren zur Evakuierung erhalten und sind über den Ablauf informiert. Sie werden sich entlang der festgelegten Evakuierungsrouten selbst in Sicherheit bringen. Aber wir haben in jedem Dorf auch einen Informationsposten und sind da, wenn jemand nicht weiss, was zu tun ist oder Hilfe braucht. Wichtig ist, dass die Menschen Ruhe bewahren. Ein Alarm zur Evakuierung heisst nicht, dass sofort unmittelbare Lebensgefahr besteht. Aber es ist dann Zeit, das Dorf zu verlassen. 


Haben Sie die Evakuierung schon geübt?

Die Aufgaben zu üben, gehört zum Alltag der Feuerwehr, das ist auch bei einer Evakuierung nicht anders. Als erstes haben wir die Pläne in Kaderübungen mit unseren eigenen Leuten und den Nachbarfeuerwehren geübt. So stellen wir sicher, dass alle die Pläne verstehen und es ist auch ein Test, um herauszufinden, ob in der Planung noch Lücken oder falsche Überlegungen sind. Die einzelnen Teams üben dann jeweils Teile der Evakuierung. So lernen sie die Aufgaben kennen, die sie übernehmen müssten.


Wird es auch eine Gesamtübung geben, bei der die ganze Bevölkerung evakuiert wird?

Eine Grossübung «eins zu eins» haben wir nicht vorgesehen. Das wäre ein grosser Aufwand und auch eine ziemliche Aufregung für die Menschen und Tiere in den Dörfern. Viel wichtiger für eine reibungslose Evakuierung ist es, dass wir die nötige Ausrüstung dazu haben, wissen, was zu tun ist und dass die Zusammenarbeit mit Polizei, Gemeinde und Partner-Feuerwehren funktioniert. Das alles kann man üben, ohne die Bevölkerung mit einer grossen Übung zu belasten.


Nehmen wir an, die Evakuierung wäre abgeschlossen, alle Bewohnerinnen und Bewohner in Sicherheit. Was wäre dann die Aufgabe der Feuerwehr?

Die Feuerwehr und die First Responder sind Milizorganisationen, sie sind nicht darauf ausgelegt, über eine längere Zeit im Einsatz zu stehen. Nach einer Evakuierung würden wir unsere Aufgaben an andere Einsatzkräfte übergeben. Vor allem an den Zivilschutz.


Stichwort «First Responder»: Was versteht man darunter?

First-Responder sind freiwillige Ersthelferinnen und Ersthelfer, die bei Unfällen und anderen Ereignissen aufgeboten werden. Sie haben eine medizinische Grundausbildung, um Menschen in Not zu helfen, bis der reguläre Rettungsdienst eintrifft. Bei grösseren Ereignissen können sie den Rettungsdienst oder die Feuerwehr unterstützen.


Wie würden sie bei einer Evakuierung eingesetzt?

Die First-Responder werden in den Sammelstellen in den Schulhäusern tätig. Dorthin geht die Bevölkerung als erstes, nachdem sie ihr Dorf verlassen hat. Alle Personen werden registriert, damit wir wissen, ob auch alle die Dörfer verlassen haben. Wer irgendwelche Hilfe braucht, dem wird hier geholfen. Sollte jemand medizinische Hilfe benötigen, sind die First Responder natürlich dafür ausgebildet.


Feuerwehr und First Responder sind Freiwilligenorganisationen. Müsste man bei einem solchen Grossereignis nicht Profis einsetzen?

Beide Organisationen sind sehr gut für ihre Aufgaben ausgebildet. Sie üben regelmässig und leisten bei Unfällen und Bränden im Alltag sehr gute Arbeit. Natürlich wäre ein Grossereignis wie die Evakuierung eines ganzen Dorfes eine Herausforderung, aber wir waren vom ersten Tag an in die Planung involviert und sind gut darauf vorbereitet.


Das alles klingt nach einer grossen Aufgabe, die viele Leute bindet. Was, wenn es in einer solchen Situation zusätzlich einen Brand gibt oder einen Unfall, wo es die Feuerwehr braucht?

Dann würden wir die Nachbarfeuerwehren aufbieten. Sie würden unter einem Einsatzleiter unserer Feuerwehr, der die Örtlichkeit und Gebäude kennt, den Einsatz leisten.


Ist es nicht auch belastend, wenn man als Rettungstruppe die Betroffenen kennt?

Das ist immer belastend, das stimmt. Aber wir üben das auch im normalen Feuerwehrdienst und treffen immer wieder solche Situationen an. Für die Betroffenen kann es umgekehrt auch ein Vorteil sein, wenn sie die Leute kennen, die ihnen helfen.


Wie gehen Ihre Leute mit dem Gedanken um, dass es zu einer Evakuierung kommen könnte? Belastet sie der Gedanke?

Natürlich machen wir uns Gedanken darüber. Schliesslich sind die Menschen, die von einer Evakuierung betroffen wären, Teil unserer Gemeinde. Bei einem Einsatz muss man das aber ausblenden. Dann geht es nur darum, Personen, die in Not geraten sind, zu helfen. Das ist für uns auch die Motivation, den freiwilligen Feuerwehrdienst zu leisten.


Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen? 

Als erstes muss ich genügend Leute zur Verfügung haben, um den Einsatz zu bewältigen. Dann steht bei solchen Einsätzen immer die Frage im Raum, ob man alle gerettet oder evakuiert hat. Wir müssen so schnell wie möglich wissen, wo alle Bewohnerinnen und Bewohner sind. 

Und schliesslich läuft alles viel einfacher, wenn die Leute ruhig bleiben und unseren Anweisungen folgen. Dazu ist es hilfreich, wenn sie die Broschüre zur Evakuierung ab und zu studieren. So wissen sie, was zu tun wäre, falls es tatsächlich einmal so weit kommen würde. 

 


«Die Informations-Broschüre ab und zu studieren»


Für eine Evakuierung von Brienz/Brinzauls, Vazerol, Surava und Tiefencastel gibt es je eine Informationsbroschüre. Sie erklärt, wie die Evakuierung abläuft, über welche Route sich die Bewohner:innen in Sicherheit bringen und wo sie sich registrieren müssen. 

Jede Broschüre ist in Deutsch, Romanisch, Italienisch und Englisch erhältlich

Für eine Evakuierung bleiben im Normalfall mehrere Stunden bis Tage Zeit. Nur im Fall einer unmittelbaren Gefährdung durch einen unmittelbar bevorstehenden Bergsturz müsste sie sofort erfolgen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber sehr klein.

Hier können die Broschüren heruntergeladen werden:



Roland Farrér 

Der Landwirt aus Stierva ist seit 2006 Kommandant der Feuerwehr Albula. Seit 2019 beschäftigt er sich als Feuerwehroffizier mit der Planung und Durchführung einer Evakuierung der gefährdeten Gebiete. An seiner Aufgabe reizt ihn, dass er in der Planung und den Übungen mit seiner Erfahrung und seinen lokalen Kenntnissen dazu beitragen kann, dass die Feuerwehr optimal auf den Ernstfall vorbereitet ist, der eine Evakuierung nötig machen würde. 

Roland Farrér (49) trat schon mit 16 Jahren der Feuerwehr bei. Seit 2012 ist er Präsident des Bündner Feuerwehrverbandes und seit 2021 Vizepräsident des Schweizerischen Feuerwehrverbandes. Farrér ist verheiratet, Vater von drei erwachsenen Kindern und lebt in Stierva.

 

Dieses Interview wurde im 20.Informationsbulletin der Gemeinde Albula/Alvra zum Brienzer Rutsch publiziert. Christian Gartmann ist seit 2019 Kommunikationsbeauftragter der Gemeinde Albula/Alvra für den Brienzer Rutsch.