Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine „grosse Geschichte“ in einem klassischen Medium erscheint, die ihren Ursprung in irgendeiner Form von Social Media hat. Leserreporter berichten mit Fotos von Unglücksfällen und Polizeiaktionen, syrische Oppositionelle schmuggeln versteckt gedrehte Videofilme aus dem Land, Blogger entlarven kleinere und grössere Lügen von Politikern, Prominenten oder Medien.
Social Media bieten sich Journalisten als fast unerschöpfliche Quelle von Nachrichten aus aller Welt an. Gleichzeitig sind sie aber auch eine grosse Gefahr für den guten Ruf der klassischen Medien: Gross ist der Anteil von nicht verifizierbaren Meldungen, inszenierten Skandalen oder gar Fälschungen, die sich jeden Tag den Weg in die Redaktionsstuben bahnen. Fallen klassische Medien auf „Enten“ herein, riskieren sie ihren guten Ruf als vertrauenswürdige Quellen von Nachrichten.
Es geht um nicht weniger als die Wahrheit.
Dennoch können und wollen klassische Medien die Quellen aus dem web 2.0 nicht einfach ignorieren. Ohne Blogs, Kurznachrichtendienste, Video-Plattformen und Communities sähen die meisten Nachrichtenredaktionen schon punkto Geschwindigkeit ganz schön alt aus. So wurde die Tötung Osama Bin Ladens getwittert, lange bevor Präsident Obama vor die Fernsehkameras trat. Aber auch in Sachen Hintergründe liefern Blogs und Communities immer wieder entscheidende Quellen für eine gute Geschichte.
Für Nachrichtenmedien hat ein neues Zeitalter begonnen: Um im Dickicht der Meldungen die „guten“ Nachrichten zu finden, brauchen sie Journalisten, die gute Recherche-Ausbildung mit strengen Standards über Nachrecherche und Verifizierung von Meldungen verbinden. Denn den Nutzern ist es am Ende egal, woher eine Nachricht stammt: Ihnen geht es um nicht weniger als die Wahrheit.
„The people formerly known as the audience“ titelt The Economist und beschreibt, wie sich die Mediennutzer von reinen Konsumenten zu Nachrichtenlieferanten wandelten und wie Redaktionen in aller Welt damit umgehen. Nach einer anfänglichen Abwehrhaltung haben gedruckte und elektronische Medien gelernt, im Alltag professionell mit Social Media umzugehen. Sie haben keine andere Wahl.
Unternehmen genauso betroffen wie Medien.
Gleiches gilt für Unternehmen: Die Zeiten, in denen man Social Media als Kinderkram abtun und ignorieren konnte, sind vorbei. Soziale Netzwerke bieten Unternehmen eine Vielfalt von valablen Informationen aus den Kreisen ihrer Stakeholder. Sie zu ignorieren, kann für eine Unternehmung im wahrsten Sinne des Wortes fatal sein. Manager aller Ebenen sind heute gefordert, genauso professionell mit Social Media umzugehen wie Journalisten. Medienkompetenz ist gefragt – vielerorts aber Mangelware.
Noch gibt es Unternehmen, welche die Existenz von Social Media schlicht verdrängen und sich erhoffen, den Informationsfluss rund um ihre Marken und Produkte besser kontrollieren zu können. Genauso stiefmütterlich behandeln viele von ihnen denn auch ihre eignen Internet- und Social Media Plattformen. Rückkanäle für Konsumenten sind schwer zu finden und sehr oft noch kaum betreut. Getratscht wird aber sowieso – statt auf transparente Informationen des Herstellers verlassen sich Konsumenten dann halt auf Quellen unbekannter Herkunft.
Der IT-Riese IBM und viele andere gehen genau den entgegengesetzten Weg: Sie ermuntern ihre Mitarbeiter, sich aktiv in Social Media zu betätigen. Dazu verfassen sie gut verständliche Leitlinien zum Umgang mit sozialen Netzwerken. Am Ende gewinnen Unternehmen wie IBM gleich doppelt: Nutzer von Social Media erfahren Transparenz und bauen Vertrauen in die Unternehmung auf und die eigenen Mitarbeiter werden zu verlässlichen Markenbotschaftern.
Christian Gartmann
Weiterführende Links:
gartmann.biz: Wie Twitter & Co Obama den grossen Auftritt vermasselten
The Economist: The People formerly known as the Audience
gartmann.biz: Machen Sie Ihr Unternehmen zum Hotel!
IBM: Social Computing Guidelines
IBM: Video zu Social Computing Guidelines