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Dem jungen Graubünden eine Chance geben

Weihnachtszeit ist die Zeit der Solidarität, des Gebens und des Nehmens und der guten Vorsätze für das neue Jahr. So auch im Grossen Rat: Bei der Debatte zur Revision des Finanzausgleichs ging es um viel Geld. Die einen sollen es geben – die anderen dürfen es nehmen. Der Begriff «Solidarität» wurde in den Diskussionen oft strapaziert.

Alessandro della Vedova: Podestà von Poschiavo und Grossrat

Von Alessandro della Vedova*

In der verabschiedeten Revision findet man unter den Empfängergemeinden nun zahlreiche Orte des Rheintals, das als reichster Wirtschaftsraum unseres Kantons gilt. «Verkehrte Welt» denke ich mit den Oberengadinern, die als grösste Geber fungieren sollen und nun laut über ein Referendum nachdenken. Schliesslich sieht nach der Zweitwohnungsinitiative die Wirtschaftslage auch im Oberengadin nicht mehr so rosig aus wie einst.


Die meisten Randregionen gehören indes zu den Gewinnern der Revision. Auch das Puschlav kann zufrieden sein: Rund 1,5 Millionen Franken soll mein Tal jährlich mehr bekommen. Ende gut alles gut? Leider nein, wie ein Ratskollege aus einer anderen Randregion emblematisch zusammenfasste: «Was nützt den Randregionen mehr Finanzausgleich, wenn dort niemand mehr wohnen will?».


In der Tat hat sich die Lage innerhalb des Kantons in den letzten Jahrzenten stark verändert. Die Migrationsströmung in Richtung Flachland bringt den Bergregionen eine Entvölkerung und geht einher mit wachsenden Problemen und horrend steigenden Kosten in den Zentren. Die Defizite steigen an beiden Orten: Den Bergtälern fehlt das Steuersubstrat und in den Zentren wachsen die Sozialkosten.


Die Entvölkerung der Berge macht auch vor den vermeintlich reichen Tälern, wie etwa dem Engadin, nicht Halt. Um sie zu stoppen, gibt es keine schnellen Patentrezepte. Strukturelle Veränderungen brauchen Zeit und vor allem unternehmerischen Mut. Und hier orte ich ein noch grösseres Defizit als in der Kantons- und in den Gemeindekassen: Beim Mut, Ideen zu verfolgen, die vielleicht auf den ersten Blick utopisch sein mögen. Bei der Bereitschaft, Neues auszuprobieren, auch der jungen Generation Vertrauen zu schenken und ihr so eine echte Chance zu geben.


Dass immer mehr junge Bündner ihren Tälern oder gar dem Kanton den Rücken kehren, mag vor allem daran liegen, dass in den Bergen die Arbeitsplätze fehlen. Im Gespräch mit Betroffenen spürt man aber auch die Frustration, in eingefahrenen Strukturen nichts bewegen zu können. Denn die gegenwärtige Krise ist nicht mehr nur eine Finanz- oder Eurokrise, sie ist längst auch zu einer Innovationskrise geworden. In schwierigen Zeiten verharrt Graubünden in bekannten Mustern und wagt kaum Neues.


Das bringt mich zu den guten Vorsätzen für das neue Jahr: Besonders in wirtschaftlich schweren Zeiten ist es wichtig, sich antizyklisch zu verhalten und Neues zu versuchen: Neue Ideen und neue, junge Leute brauchen eine faire Chance. Gerade ein Gebirgskanton wie Graubünden muss auf seinen eigenen Nachwuchs setzen und seiner jungen Generation attraktive Gründe geben, in der Heimat zu bleiben.


Hunderte, wenn nicht Tausende junger Bündner müssen sich jedes Jahr für oder gegen ihre Talschaft oder ihren Heimatkanton entscheiden. Junge Berufsleute, Absolventen von Bündner Fachhochschulen und Universitäten ausserhalb des Kantons würden liebend gern in und für Graubünden arbeiten. Sie verlangen zu Recht echte Chancen, etwas bewegen zu können.


Mein Vorsatz für 2014 steht: Dem jungen Graubünden eine Chance geben!

 

 


*Alessandro della Vedova (43) ist Podestà der Gemeinde Poschiavo, CVP Grossrat und Vizepräsident der CVP Graubünden.


Dieser Gastkommentar erschien in der Engadiner Post / Posta Ladina vom 10. Dezember 2013.