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Von der Makro- auf die Mikroebene

«Historisch» wurde das kürzliche Arbeitstreffen der Bündner Regierung mit der Regierung der Region Lombardei genannt. Zweifellos ist es bemerkenswert, wenn die Regierung einer Region mit fast 10 Millionen Einwohnern in einen benachbarten Gebirgskanton reist und dort nicht nur Nettigkeiten austauscht, sondern echte Gespräche führt. Der Bündner Wirtschaft erwachsen daraus grosse Chancen.

Dass es die Lombarden mit dem Gespräch ernst meinten, merkten ich und alle anderen Teilnehmer des Treffens sofort. Über 200 Seiten stark war das Dossier, welches sie mitgebracht hatten; unsere Nachbarn hatten sich gut vorbereitet. Die Gespräche wurden denn auch erfreulich konkret: Verbesserungen im öffentlichen Verkehr, die Expo 2015, das neue Kompetenzzentrum für Holz im Puschlav, interregionale Projekte im Tourismus und die Zusammenarbeit im Gesundheitssektor kamen unter anderem auf den Tisch.


Die Lombardei, neben Baden-Württemberg, Katalonien und Rhône-Alpes einer der vier Wirtschaftsmotoren Europas, will also ernsthaft mit Graubünden kooperieren. Auch die Bündner Regierung ist gewillt, die Zusammenarbeit mit der Lombardei zu intensivieren – das konnte ich während den Nachgesprächen feststellen. Für das politische Graubünden ist das eine grosse Chance: Graubünden könnte sich als neuer Brückenkanton zwischen Bern und Mailand positionieren, denn bekanntlich sind die Beziehungen zwischen der Lombardei und dem Tessin seit geraumer Zeit nicht mehr so idyllisch.


So weit die politische Seite – wie aber geht es jetzt «im realen Leben» weiter? Wie können wir sicherstellen, dass aus dem politischen Bekenntnis nicht ein Papiertiger wird, der in einem Archiv verstaubt? Wenn die Politik beschliesst, auf der Makro-Ebene zusammenzuarbeiten, die Privatwirtschaft als Mikro-Ebene aber nicht mitmacht, nützen die gestarteten Gespräche nicht viel. Die Lombarden strecken die Hand aus ¬– wir müssen uns nun bewegen.


Am Anfang steht wohl der Abbau von Vorurteilen: Unser Verhältnis zu den Italienern ist geprägt von einem Haufen Skepsis. Zugegeben: Sie ist nicht immer unbegründet. Mentalität und geschäftliche Gewohnheiten sind in Italien anderes, aber gute und zuverlässige Leute gibt es auch dort überall. Demgegenüber sind wir Schweizer manchmal ein bisschen hochnäsig.

 


«Zu verlieren haben wir dabei nicht viel»


Wer mit den Lombarden erfolgreich ins Geschäft kommen will, braucht Hartnäckigkeit und Flexibilität zugleich – das kann ich aus jahrzehntelanger Erfahrung sagen. Wir können von den anderen nicht verlangen, dass sie wie wir handeln und dass ihre Bürokratie wie unser funktioniert. Gewissen Dinge muss man hinnehmen und auch respektieren. Genauso sollten wir aber auch die für unsere Seite wertvollen Ideen und Geschäftsprinzipien offen betonen und bei Bedarf hartnäckig verteidigen.


Die Nachbarschaft zur Lombardei ist für Graubünden eine grosse Chance. Zu verlieren haben wir dabei nicht viel: Lombardische Produkte und Dienstleistungen sind in Graubünden schon jetzt sehr beliebt. Wenn wir enger mit der Lombardei zusammen arbeiten, ist sie nicht nur ein möglicher Beschaffungsmarkt, der unser eigenes Gewerbe konkurrenziert: Sie ist vor allem ein riesiger Absatzmarkt für Produkte und Dienstleistungen «Made in Graubünden».


Diesen Markt gilt es besser zu bearbeiten. Wir müssen und können es schaffen, die Handelsbilanz zu unseren Gunsten zu verbessern. Das braucht – wie schon gesagt – Flexibilität und Hartnäckigkeit, aber auch eine gewisse Ausdauer. Denn wer bei den ersten Schwierigkeiten gleich aufgibt, wird in Italien nie Fuss fassen. Die Politik kann uns Türen öffnen und Hindernisse aus dem Weg räumen. Wer aber darauf wartet, dass die Politik seine unternehmerischen Probleme löst, der wird daran zugrunde gehen. Das ist in Graubünden genau so wie in der Lombardei.

 

 

Alessandro Della Vedova ist Vizepräsident der CVP Graubünden, Grossrat Kreis Poschiavo und Podestà  der Gemeinde Poschiavo. Er ist italienisch-schweizerischer Doppelbürger und arbeitete viele Jahre in Mailand.


Diese Kolumne erschien im Bündner Tagblatt vom 21. Oktober 2014.