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Praxistipps für politische Kampagnen zugunsten des Schweizer Sports

«Graubünden 2022» war die wohl aufsehenerregendste kantonale Volksabstimmung, die die Schweiz je gesehen hat. Nie zuvor wurde so umfassend informiert, nie wurden so viele Stimmbürger persönlich angesprochen und nie hatte ein kantonaler Urnengang so viel – auch nationale – Medienpräsenz. Die intensive Arbeit über zwölf Monate brachte positive und negative Erfahrungen. Für künftige politische Kampagnen im Schweizer Sport lassen sich daraus ein paar Praxistipps ableiten.*

Pro und contra Graubünden 2022: Noch nie hat eine kantonale Abstimmung so ein Medienecho ausgelöst.

12 Medienkonferenzen, 32 Medienmitteilungen, über 200 Veranstaltungen mit rund 30'000 Besuchern, mehrere hundert Postings in Social Media, rund 600 Seiten Inhalte und Downloads auf der eigenen Website, 70 Seiten Q&A, unzählige grössere und kleinere Interviews und über 200 Leserbriefe wurden für Graubünden 2022 produziert.


Nach gut 12 Monaten waren über 300 Persönlichkeiten im Unterstützungskomitee, 4'000 Fans hatten sich auf Facebook registriert, über 6'700 Medienartikel waren erschienen, was einen Pressespiegel von über 9'000 Seiten oder 13 Bundesordnern ergäbe. Und dennoch ist es nicht gelungen, das Bündner Stimmvolk von einer Olympiakandidatur zu überzeugen.


Politische Kampagnen folgen eigenen Regeln – die leider nirgends festgeschrieben stehen. Jede Kampagne ist anders, denn jedes Vorhaben hat andere Anspruchsgruppen (Stakeholder). Zu Beginn jeder Kampagne muss deshalb versucht werden, alle Gruppen zu identifizieren, die von einem Projekt (positiv oder negativ) betroffen sind. Zu jeder Gruppe muss bestimmt werden, wie man sie am besten «abholt»: wie man sie zur Botschaftergruppe macht oder aber ihre Bedenken behandelt und möglichst zerstreut. Die Stakeholderliste ist nicht abschliessend – sie dient während der Kampagne aber als Orientierungs- und Checkliste für die Kampagnenarbeit.

Die Unterstützer unterstützen.

Der Sport hat sehr viele «Fans» oder «Supporter». Sie können – wenn man sie umfassend einbindet – eine grosse Hilfe für eine politische Kampagne sein. Im Idealfall bilden sie eigene Netzwerke und arbeiten an der Basis selbständig für die Sache. Die meisten Supporter eines Projekts sind aber nicht kampagnenerprobt – sie sind keine Polit-Profis und sie haben auch nur begrenzte Ressourcen, um politisch zu arbeiten. Ein Supporternetzwerk muss deshalb straff geführt werden. Klare Aussagen über unsere Erwartungen an sie sind sehr wichtig – vorbereitete Unterlagen (Argumentarien, Promotionsmaterial, «How-to» Merkblätter, Checklisten) sind Voraussetzung für eine professionelle Arbeit an der Basis.


Supporter an der Basis ersetzen nicht die eigene Kampagnenarbeit: Nur wer selbst «bei den Leuten» ist, bekommt und behält ein Gefühl für die Stimmung «draussen» und kann auch nachvollziehen, was die Supporter erleben. VIP-Zelte eignen sich dafür weniger gut als die Fan-Zonen, wo die «normalen» Stimmbürger/innen verkehren. Ein «Samstagmorgen vor der Migros» bringt oft mehr Feedbacks und Ideen als zehn Champagnercocktails. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Kampagnenverantwortlichen, sondern auch für Vorstände, Präsidien, usw.

Professionelle Unterstützer...

Exekutivpolitiker und ihre Administrationen (Ämter) sind sehr wichtige Ansprechpartner. Vor Beginn einer Kampagne sollte offen mit ihnen diskutiert werden, welches ihre Möglichkeiten sind und wo ihre Grenzen. Denn Exekutiven und Ämter sind zwar die «Schaltzentren der Macht», sie dürfen aber von Gesetzes wegen nicht alles, was zum Beispiel ein Verband, ein Verein oder eine Privatperson darf. Zur Auslegeordnung gehört auch eine klare Definition, wer der «Eigentümer» des Projekts ist und demzufolge auch die Führung innehat.


Politiker aller Couleur sind professionelle Supporter der verschiedensten Anliegen. Sie können eine sehr grosse Hilfe sein, wenn sie ihren guten Namen – auf den verschiedensten Ebenen – für eine Sache einsetzen. Genau wie andere Supporter erwarten auch sie klare Ansagen, was wir von ihnen erwarten. Auch ihr Einsatz muss orchestriert und straff geführt werden. Politiker sind aber wie Einzelsportler: Am Ende zählt nichts so viel wie der Sieg. Politiker verlieren sehr ungern. Wird das Projekt zur Zitterpartie, gehen viele von ihnen in Deckung.

...und Opportunisten

Sport und sportliche Projekte haben den Vorteil, dass sie sich auf verschiedene Arten emotional vermitteln lassen. Das kann Begeisterung auslösen und Projekte «zum Fliegen bringen». Sportliche Vorlagen sind aber auch Bühnen der Eitelkeit und die Gelegenheit für rasche Präsenz im Scheinwerferlicht. Schnell rein (ins Thema) und auch schnell wieder raus: Je emotionaler und grösser das Thema, desto eher finden sich auch Exponenten, die sich aus reinen Partikularinteressen engagieren. Für solche «Manöver» ist die Seite der Gegner übrigens effizienter als die der Befürworter. Deshalb können sich zu jedem Zeitpunkt Leute gegen ein Projekt äussern, von denen man es nicht erwartet hätte.

 

* Aus einem Referat von Christian Gartmann vor Medienchefs von Schweizer Sportverbänden an einem Treffen von Swiss Olympic am 3. September 2013 in Bern.